Wulff-Variationen: wulffen, vollwulffen, auswulffen und weitere

Das Verb „wulffen“ wird üblicherweise mit drei Bedeutungen versehen:

(1) „jemandem eine lange Nachricht auf der Mailbox hinterlassen“
(2) „nicht die ganze Wahrheit sagen, ohne ausdrücklich zu lügen“
(3) „möglichst viel mitnehmen, ohne zu bezahlen“

Differenzieren lässt sich das Verb durch Präfixe, die die Bedeutung eingrenzen (Stellen teils belegt, teils konstruiert, um das Prinzip zu zeigen):

„den AB vollwulffen“ (für (1))
„(um den heißen Brei) herumwulffen“ (für (2))
„ordentlich was mitwulffen (lassen)“, „einwulffen“ (für (3))

Eine weitere Möglichkeit:

(4) „sich durchwulffen“, „die Sache auswulffen (statt abzuköhlern)“ – also die Krise (auch: shitstorm) durchstehen, aussitzen. Indessen kann „sich durchwulffen“ durchaus auch (3) bedeuten.

Einen kurzen und einigermaßen unverwechselbaren Namen zu haben, ist Segen und Fluch zugleich. Frau Leutheusser-Schnarrenberger wäre das wohl eher nicht passiert, in sprachlicher Hinsicht jedenfalls, vermutlich auch sonst nicht, aber das gehört nicht unbedingt hierher.

Im Übrigen darf man durchaus die Frage stellen, ob „wulffen“ ein echter Neologismus in dem Sinne ist, dass es (ob mit oder ohne Präfix(e)) einen eigenen semantischen Raum (Bedeutungslücke) besetzt. Manche Verwendungen lassen unschwer erkennen, welches eigentlich gemeinte Verb „wulffen“ überdeckt, z. B. „quasseln“ (1). Die verdeutlichenden Präfixe verweisen ebenfalls auf dahinterstehende Ursprungsverben. Komplexere Bedeutungen wie (2) und (3) erschließen sich eben bislang nicht durch ein bloßes „wulffen“. Insofern kann das Überfrachten des Verbs mit Anspielungen dazu führen, dass sich am Ende keine der Bedeutungen dauerhaft durchsetzt, vor allem, wenn die Affäre immer wieder neue Aspekte hervorbringt. Da „wulffen“ ja in der Regel einen denunziatorischen Aspekt beinhaltet, könnte das dem unfreiwilligen Namenspatron durchaus recht sein.

Ein Beispiel für die positive Umwertung des Wulffens findet sich hier:

Also Leute, ich wulffe den ganzen Tag herum, ich würd keinen Cent Umsatz machen, würd ich mich nicht auf’s Wulffen verstehen und kann jedem nur empfehlen, zumindest den Grundkurs im „um den heißen Brei herum reden“ zu lernen! Das gehört zu den Soft SkillsJ.

In meiner Welt jedenfalls darf man noch den Kumpel von einem Freund fragen, ob er einem beim Umzug hilft, wenn er dafür auf die ultimativ-geile Party kommen darf und wenn man selbst damit weniger Steine auf dem Herzen hat.

Es handelt sich um eine Variante von „wulffen“ (2) und (3). (2) ist beim „auf’s Wulffen verstehen“ gemeint, wie vorsichtshalber erklärt wird, der zweite Absatz stellt jedoch klar, dass auch (3) eingeschlossen ist, allerdings abgeschwächt zu „durch Kontakte Kosten reduzieren“.

So gesehen, da ist der Bloggerin recht zu geben, wird bei uns und überall auf der Welt viel mehr gewulfft, als manche denken. Das Absurde ist: Wulff selbst soll als Bundespräsident moralisches Vorbild sein. Deswegen dürfen anscheinend alle ein bisschen wulffen – außer Wulff selbst. Hier deutet sich ein mögliches „wulffen“ (5) an, diesmal als transitives Verb: jemanden wulffen. Bedeutung: durch dauernde Negativberichterstattung aus dem Amt jagen. Aber dazu müsste er erst mal zurücktreten.
Nachtrag 17.02.2012: Geschehen. Somit kann man auch zu „auswulffen“ eine neue Bedeutung geben, in Gestalt einer Passivkonstruktion: Es hat sich ausgewulfft. Wegen der Singularität des Rücktritts dürfte sich dieses Verb jedoch nicht etablieren.

PS: Wie stark solche Verben von der politischen Stimmung abhängen, zeigt sich in einem angeblichen neuen englischen Verb mit deutscher Wurzel: „to kauder“. Die SZ bemerkt dazu:

Geprägt wurde es von dem Historiker Timothy Garton Ash nach der aufrührerischen Rede Volker Kauders an die CDU-Aufrechten … "Zu kaudern" oder auf Englisch "to kauder", sagte der Deutsch-sprechende Historiker Ash, bedeute, "die Sprache der Pubs auf die politische Bühne zu bringen".

Belege habe ich dazu indessen nicht gefunden. Richtig ist, dass Kauder in der britischen Presse viel Wirbel verursacht hat, aber ein Wort prägen? Hinweise nehme ich gerne entgegen.

dml


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