Wie „überfremdet“ ist die deutsche Sprache?

Es gehört seit Jahren zu den Standard-Argumenten mancher Sprachkritiker nicht nur aus dem VDS-Umfeld: In keine Sprache würden so bereitwillig überflüssige Lehnwörter aus anderen Sprachen, insbesondere aus dem Englischen integriert. Entsprechend drohe eine Verhunzung des Deutschen, wenn nicht gar ein Aussterben des Deutschen zugunsten eines Denglisch-Kauderwelschs. Einen empirischen Beweis hierfür hat noch keiner geliefert – doch auch für das Gegenteil liegt m. W. keine überzeugende Studie vor.

Einen interessanten Versuch startete vor kurzem der Linguist A. Stefanowitsch, indem er Angaben der DUDEN-Redaktion zum Fremdwörteranteil im Deutschen mit der World Loanword Database verglich. Je nach Basis (Grund- oder Gesamtwortschatz) ergab sich für das Deutsche ein geringer bis mittlerer Fremdwortanteil. Das Argument der drohenden Verdenglischung wäre somit widerlegt – sollte man meinen. Tatsächlich ist die Angelegenheit weit komplexer.

Solche Datenerhebungen und -vergleiche blenden nämlich einige Grundfragen aus, die teils linguistischer, teils eher sozialpsychologischer Natur sind: Was ist ein „Fremdwort“, was bedeutet insbesondere „fremd“ in dieser Zusammensetzung? Kann man eine Wortgleichung zum englischen „loanword“ bilden? (Es gibt im Englischen nämlich darüber hinaus den Ausdruck „hard word“ für schwer verständliche Ausdrücke, die zumeist dem Lateinischen entstammen.) Erscheinen alle Entlehnungen allen Sprechern gleich „fremd“, womöglich „befremdlich“?

Die zuletzt genannte Frage kann man wohl, ohne Geld für linguistische Studien auszugeben, klar mit „nein“ beantworten. Über „Call-a-bike“, „retail banking“ oder „public viewing“ regen sich in Deutschland viele auf, über „Auto“, „Bank“ oder „unfair“ niemand (dabei ist „unfair“ in Aufbau und Aussprache echtes Denglisch).

Gründe hierfür lassen sich schnell finden: Zeit der Entlehnung (je älter, desto besser), Verständlichkeit, Existenz oder Fehlen einer indigenen („alteingesessenen“) Alternative, Wortlänge und Schwierigkeitsgrad der Aussprache.

Mehrere dieser Faktoren werden auch vom VDS als Kriterien für die Beantwortung der Frage genannt, ob eine Entlehnung akzeptabel sei oder nicht. Die von Autor Stefanowitsch unter Verzicht auf wissenschaftliche Ausdrucksweise als „Sprachnörgler“ Bezeichneten zeigen hier durchaus Differenzierungsvermögen.

Doch zur eigentlichen Frage: Solange diese Aspekte nicht berücksichtigt werden, ist der Vergleich aufgrund der Loanword Database als zu kurz gegriffen zu bezeichnen. Das deutlichste Beispiel scheint hier die englische Sprache zu sein. Im Ranking der Loanword Database steht sie weit oben. Zurückzuführen ist dies vermutlich nicht primär auf eine besondere Offenheit der heutigen Sprecher (oder gar ein Anbiedern an modische Phänomene), sondern auf die Sprachgeschichte des Englischen, insbesondere auf die Überformung des Altenglischen durch das Französisch der normannischen Eroberer. Das war vor mehr als 900 Jahren. Dass solche Entlehnungen auch von englischen Muttersprachlern mit eher geringem Bildungsstand nicht als „hard words“ empfunden werden, erstaunt wohl kaum. Wollte man hier Vergleiche zu unserer Denglisch-Debatte ziehen, müsste man schon in eine Zeitmaschine steigen und die mittelalterlichen englischen Bauern fragen, wie sie es finden, dass ihre neuen Herren zwar „cows“ als Zehnten fordern, an der Tafel aber von „beef (boeuf)“ sprechen.

 
dm


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Kommentare:

1.) gemini: Wahrscheinlich werden wir uns genauso an Englisch als dominierende Sprache gewöhnen wie die Angelsachsen seinerzeit an Französisch - vieles Englische im Deutschen fällt einem ja kaum noch auf, z. B. "unfair".

2.) Dudenda: Mir gehen die Wichtigtuer vom VDS auf den Wecker. Soll doch jeder so denglisch reden wie er/sie will. Ich glaube, bei denen hapert es eben bei den englischen Sprachkenntnissen.  

 

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